Künftige Auswirkungen der Verbraucher-Erzeuger auf das Stromnetz

In naher Zukunft werden viel mehr Menschen unter anderem dank der Nutzung von Solarpanels ihre eigene Energie produzieren und dadurch zu „Prosumern“ werden. Der aus dieser Produktion gewonnene Überschuss kann gespeichert, getauscht oder verkauft werden. Wie wird also der neue Energiemarkt aussehen?

"Handling the Crowd: An Explorative Study on the Implications of Prosumer-Consumer Communities on the Value Creation in the future Electricity Network", so lautet der Titel der Doktorarbeit von Mario Gstrein. Seine Forschung befasst sich mit realistischen Möglichkeiten: Was passiert, wenn die gesamte Energieproduktion aus lokalen und erneuerbaren Energiequellen kommt? Wenn sich die Bewohner eines Stadtviertels zusammentun und innerhalb ihrer Gemeinschaft Energie produzieren, speichern und tauschen? Dazu müssten neue Mikro-Netzwerke geschaffen und die Produktion vor Ort dezentralisiert werden. Die Dezentralisierung entspricht dem heutigen Zeitgeist und bietet verschiedene finanzielle und umweltpolitische Vorteile, indem sie zum Beispiel dazu beiträgt, die Transportwege zu verkürzen. Dieser Trend könnte sich auch auf die Energiebranche auswirken.

Vor Ort gewonnene Energie verbrauchen
Was wäre, wenn jeder von uns seinen eigenen Energiebedarf teilweise oder vollständig decken könnte? „Bei dieser Forschung wird der „Prosumer“-Standpunkt eingenommen (eine Kombination aus Produzent und Konsument). Das Besondere daran ist, dass das Kollektiv (crowd) im Mittelpunkt steht und dass man aufzeigen kann, dass eine solche Gemeinschaft tatsächlich funktioniert“, stellt Stephanie Teufel fest, Dissertationsbetreuerin und Professorin an der UNIFR sowie Direktorin des international institute of management in technology, das sich am smart living lab beteiligt. Mario Gstrein ging diese Problematik mit multidisziplinären Methoden an. Mithilfe eines Online-Fragebogens erörtert er in seiner Doktorarbeit gesellschaftliche Fragen, wie den Wunsch, einem Energie produzierenden Kollektiv anzugehören, oder wie typische Entscheidungsabläufe beim Speichern und Teilen von Energie aussehen. Ausserdem untersucht er wirtschaftliche Aspekte, wie den Preis selbstproduzierter Energie und berechnet mithilfe einer Simulation das Produktionspotenzial einer Gemeinschaft in einem tatsächlich existierenden Stadtviertel.

Eine Autonomie, welche die Konturen des traditionellen Vertriebsnetzes neu definiert.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Menschen zunehmend für Investitionen in Infrastrukturen interessieren, und sich nach und nach an die Idee gewöhnen, „Prosumer“ zu werden. Es scheint auch attraktiv zu sein,  die Energie innerhalb einer Gemeinschaft zu produzieren, allerdings sollte sie gross genug sein, um eine gewisse Anonymität zu garantieren. Eine Gemeinschaft, die einen Häuserblock oder einen Vorort umfasst, könnte die Abhängigkeit von den Stromanbietern stark reduzieren, Einfluss auf die Produktionskette nehmen und sich in Übergangsphasen (wenn die Nachfrage weniger gross ist) selbst versorgen. Um die notwendigen Voraussetzungen für eine Autonomie zu erfüllen, muss die Gemeinschaft ihre Produktions- und Speicherkapazitäten erweitern und/oder auf weniger volatile Energieformen zurückgreifen, falls ihre finanziellen Möglichkeiten es zulassen. Im Falle einer derartigen Autonomie könnten die Energieversorger als Backup fungieren und zu einer Art Versicherung werden, die den Versicherten im Bedarfsfall mit Elektrizität versorgt.

Nicht nur Elektrizität sondern auch Werte teilen
„Wer eine solche Gemeinschaft bilden und pflegen möchte, braucht soziale Kompetenz, muss Entscheidungsabläufe gemeinsam festlegen, gegenseitiges Vertrauen schaffen und Engagement zeigen.“, schreibt Mario Gstrein. Seine Forschungen zeigen, dass eine Gemeinschaft einen Moralkodex braucht, an den sich alle halten und der zum Beispiel besagt, dass die selbstproduzierte Energie denselben Stellenwert haben muss wie die der anderen Mitglieder der Gemeinschaft. Ohne Transparenz ist eine Zusammenarbeit nicht möglich. Mario Gstrein fand durch eine Simulation in einem tatsächlich existierenden Stadtviertel ausserdem heraus, dass die meisten Interaktionen dann stattfinden, wenn der Produktions-Konsum-Quotient ausgeglichen ist, oder mit anderen Worten, wenn die meisten Möglichkeiten offen stehen (tauschen/speichern/verkaufen).
Generell gibt es zwei Gruppen von „Prosumern“, welche die Netzdynamik beeinflussen: die Anpassungsfähigen und die Nicht-Anpassungsfähigen. Nicht anpassungsfähige Personen gehen ungern ein Risiko ein und teilen ihre gespeicherte Energie nur, wenn die Sonne scheint. Die Gruppe der Anpassungsfähigen hingegen zeigt Mut zum Risiko, sobald die Meteorologen schönes Wetter ankündigen. Der Erfolg eines Kollektivs lässt sich nur an seiner Bereitsschaft der Speicherung, der Steuerung und des Austausches  messen. Wenn wir wissen, wie viel Energie produziert, gespeichert, getauscht und verkauft werden kann, bewegen wir uns hin zu einem Paradigmenwechsel. Die Energie bekommt einen neuen Wert, nicht nur finanziell, sondern auch in Bezug auf das persönliche Engagement jedes Einzelnen, . Zudem wird der Energiekonsum optimiert. Eine der besten Möglichkeiten, die Bevölkerung für die Problematik zu sensibilisieren, ist   ihnen die Verantwortung für ihre eigene Energieproduktion zu geben!“, sagt Stephanie Teufel.

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