Kreislaufwirtschaft im Baugewerbe?

Ein neues Gebäude wird in seiner Bauphase bald proportional mehr Verschmutzung verursachen als während seiner Betriebsphase. Ausserdem wird das Recycling-Potenzial von „Abfällen“ beim Abbruch von Gebäuden noch ungenügend genutzt. Was wäre, wenn die Gebäudestrukturen und –systeme so ausgelegt würden, dass sie über die Jahrhunderte mehrmals wiederverwendet werden könnten?

In den letzten Jahrzehnten bemühte man sich hauptsächlich darum, den Energieverbrauch der Gebäudenutzung zu reduzieren (Heizung, Beleuchtung, usw.). Zukünftig wird die Errichtung und der Abriss eines Gebäudes vergleichsweise mehr Kohlenstoffausstoss verursachen als sein Betrieb. In diesen beiden Phasen entsteht außerdem eine grosse Menge an Abfall, da Gebäude in der Regel nicht dafür ausgelegt sind, recycelt zu werden. Zwar kann theoretisch alles recycelt werden, doch hat Recycling einen wirtschaftlichen und ökologischen Preis. Ausserdem verschlechtert sich dabei die Materialqualität, sodass sich die wiederverwerteten Materialien nicht mehr für ihren ursprünglichen Gebrauch eignen. Das bedeutet, dass alleiniges Baustoff Recycling keine Patentlösung ist.

Die Abkehr von der linearen Wirtschaft
Das in der Bauindustrie vorherrschende Modell (basierend auf dem vorherrschenden linearen Wirtschaftsmodell, das heisst produzieren-konsumieren-wegwerfen) trägt stark zur Erschöpfung der natürlichen Rohstoffe bei. „Um Beton herzustellen brauchen wir Sand. Wir müssen heute die Meeresgründe in 200 Meter Tiefe abtragen, wobei die Flora und Fauna zerstört wird, da alle anderen Sandvorkommen erschöpft sind. Wüstensand ist aufgrund der Winderosion zu fein und kann beim Bau nicht alternativ eingesetzt werden“, erklärt
Corentin Fivet, Professor an der EPFL und Leiter des Structural Xploration Lab am smart living lab. Daher müssen dringend andere Modelle in Erwägung gezogen werden, welche die Lebensdauer der abgebauten Materialien und der daraus gefertigten Produkte so weit wie möglich verlängern. Die Kreislaufwirtschaft ist das Gegenstück zur linearen Konsumwirtschaft: „Die Materialien sollen in einem Kreislauf genutzt werden, es gilt das Prinzip „nichts wird verschwendet, nichts hergestellt, alles wird umgewandelt oder weitergereicht.“ Weniger Material verbrauchen, reparieren, wiederverwenden, recyceln und der Natur zurückgeben sind, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit, aufgeführt die anzuwendenden Prinzipien: Reparieren verbraucht weniger Energie als das Wiederverwenden, dann kommt Recyceln usw...“. 

Mehrere Leben für Gebäudestrukturen und –systeme
Eine der Zielsetzungen des Structural Xploration Lab ist es, zu verstehen, wie man Tragstrukturen (Wände, Bodenplatten, Bodenbeläge, Bedachungen und Fundamente) konstruiert, die nacheinander in mehreren Gebäuden wiederverwendet werden können. Das bedeutet außerdem, dass lokal konsumiert werden muss, um Transportkosten und die damit einhergehenden Kohlenstoffemissionen zu vermeiden. Wenn man davon ausgeht, dass ein Gebäude gewöhnlich eine Lebensdauer von 100 Jahren hat, würde die Wiederverwendung der Elemente über mehrere Jahrhunderte eine sehr langfristige Vision mit sich bringen und zu einem Paradigmenwechsel führen.
Um sich in die Zukunft versetzen zu können, entwickelt das Forscherteam Tools zur Bewertung des Wiederverwendungspotenzials der Elemente, die nach Abriss eines Gebäudes übrigbleiben. „Wir haben keine Ahnung, welcher Anteil an Material oder an Elementen beim Abriss des Gebäudebestands in der Schweiz wiederverwendet werden könnte. Die Wiederverwendung der abgerissenen Immobilien zum Bau neuer Gebäude ist eines der Szenarien, die wir untersuchen müssen, sagt Corentin Fivet. Er erklärt, dass es nicht ausreicht, nur die Bauteile so wie sie sind wiederzuverwenden, sondern auch die anderen Komponenten (Flüssigkeitssysteme, Isolierung, Abdichtungen, Verkleidung) der alten Gebäude trotz Auf- und Abbau nochmals zu gebrauchen und in den neuen Bau zu integrieren.

Kreislaufwirtschaft oder Rückgabe an die Natur
Zum jetzigen Stand der Forschungsarbeiten weiss das Team noch nicht, ob das Kreislaufmodell (Wiederverwendung der Elemente über mehrere Jahrhunderte) für die Bauindustrie nützlich ist, oder ob es besser wäre, alle Elemente an die Natur zurückgeben zu können, wenn das Gebäude abgerissen wird. „Wie kann die Wiederverwendung gemessen werden? Welche Technologien begünstigen die Wiederverwendung? Diese Fragen wollen wir in den nächsten Jahren klären“, stellt Corentin Fivet fest.

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